Ein Paradies für alte Obstsorten
Was bringt einen dazu, mehr als 1400 Bäume auf eine riesige Wiese zu Pflanzen? Die Liebe zum Kulturgut Obst und die Sehnsucht nach Schönheit, sagt Martin Geng.
Das Paradies liegt im mittelalterlichen Städtchen Staufen im Markgräflerland in der Vorbergzone des Südschwarzwaldes. 1400 Bäume stehen locker verteilt in blühenden, von Bienen und Insekten bevölkerten Blumenwiesen. An jedem Baum hängt ein roter Blumentopf, auf dem der Sortenname steht und in dem Ohrenkneifer nisten können. Diese ernähren sich von Blattläusen und Insekten und dienen damit dem biologischen Pflanzenschutz. Hier haben Martin und Susanne Geng mit ihrem Sohn Johannes das Obstparadies Staufen geschaffen. Auf einer Fläche von zehn Hektar kultivieren sie 68 Obstarten, Kultur- und Wildobst wie Äpfel, Zwetschgen und Holunder. Der Schwerpunkt liegt auf alten Sorten. Die Gengs pflegen etwa 600 alte Obstbäume, die meisten davon Hochstämme. Über 1400 Bäume haben sie seit Herbst 2009 neu dazu gepflanzt. Damit gibt es im Obstparadies mehr als 550 Obst- und Beerensorten. Das Obst wird frisch verkauft, in der eigenen Manufaktur getrocknet oder zu Likören, Sirupen, Fruchtaufstrichen und Saft verarbeitet.
Was sie anpacken, machen Martin und Susanne Geng und ihr Sohn Johannes gleich im großen Stil: Bevor sie mit dem Obstanbau begannen, haben sie 300 Bücher gekauft - über Obstsorten, Obstbau, Pflanzenschutz und Verarbeitung. Sie bieten ihnen neben dem Internet die Grundlage für das Wissen, das sie als Obstbau- und Weiterverarbeitungsbetrieb brauchen.
Die Gengs haben Obstanlagen gekauft und ein großes Areal gepachtet. Die größte Obstanlage, ein Gelände von 55 000 Quadratmetern (5,5 Hektar) liegt in der Nähe der Staufener Burg, mit herrlichem Blick auf Kaiserstuhl, Rheinebene und Vogesen. Sie wurde komplett neu angelegt. „Die Artenvielfalt ist mir sehr wichtig. Alte Sorten sind ein Kulturgut. Es geht um eine Vielfalt von Geschmack, Aussehen und Verwendungsmöglichkeiten.“, sagt Martin Geng, „das Wissen um die Kultivierung dieser Sorten geht zunehmend verloren.“ Insgesamt wachsen 240 Apfelsorten, 70 Birnensorten und mehr als 40 Pflaumen- und Zwetschgensorten im Obstparadies, dazu Kirschen, Pfirsiche, Nektarinen und Aprikosen, Kiwis und Feigen.
Martin Gengs Lieblingsapfelsorte ist der Gravensteiner, der von Susanne Geng die Goldparmäne. „Mit den Äpfeln ist es wie mit dem Wein, es gibt ein großes Geschmackspektrum: süß, süßsauer, sauer, herb, weinsäuerlich, zimtig und eine ganz unterschiedliche Ausprägung der Fruchtsäuren, der Festigkeit und der Saftigkeit. Das Fruchtfleisch hat verschiedene Farben, von weiß über gelblich, rötlich bis grünlich“, weiß Martin Geng. Alte Sorten seien zudem weniger anfällig gegenüber Klima- und Wetterkapriolen. Sie kapseln beispielsweise Hagelschäden gut ab und wachsen weiter, während manche moderne Sorten innerhalb weniger Tage faulen. Auch Trockenheit überstehen die Bäume besser, sie sind weniger anfällig für Schädlingsbefall und ihre Früchte lassen sich länger im Naturkeller ohne energieintensive Kühlung lagern.
An den Rändern des Geländes haben die Gengs Wild- und Duftrosenhecken aus über 80 Rosensorten gepflanzt, ebenso Fliederhecken aus 15 verschiedenen Sorten. Wildobstarten wie Mehlbeere, Eberesche, Speierling, Sanddorn und Zibarte bieten Vögeln Schutz und Nahrung. Ihre Blüten und Beeren werden für Fruchtaufstriche, Gelees und Liköre verwendet. Steinhaufen und Totholzansammlungen sind Lebensraum für Wiesel, Eidechsen, Erdkröten und Insekten. Auf dem Gelände verteilt sorgen zwölf Bienenvölker für die Bestäubung der Blüten. Entlang eines Baches haben sie ein 3000 Quadratmeter großes Beerenfeld angelegt. Neben Beeren-Klassikern wie Johannisbeeren, Heidelbeeren und Himbeeren wachsen dort exotische Arten wie Honigbeeren, Apfelbeere und Goij-Beere.
Bewässert wird das Gelände mit eigens angelegten Teich-Biotopen, die durch Oberflächenwasser gespeist werden. Hier tummeln sich im Sommer Libellen und allerhand Wassergetier. Familie Geng bewirtschaftet das Obstparadies nach ganzheitlichen Gesichtspunkten. Das bedeutet: keine chemisch-synthetischen Spritzmittel, keine Gülle und keine chemischen Dünger.
In einer bereits bestehenden Obstanlage wachsen 150 Walnuss- und etwa 300 Pflaumenbäume auf einem Hektar. Die Nüsse werden zu Öl verarbeitet. Martin Geng rechnet mit einem Ertrag von fünf Tonnen, die er zu etwa 1000 Litern wertvollen Walnussöls pressen will. Verarbeitet und verkauft wird das Obst auf dem Gelände des Zentrums für Baubiologie und Ökologie, einem Ökozentrum am Rand des Staufener Gewerbegebiets. Susanne Geng ist in erster Linie für die Verarbeitung der Beeren und Früchte zuständig. Der größte Teil des Obsts wird getrocknet, pro Trockengang 50 bis 80 Kilogramm Frischware. Das Trockenobst wird in Cellophan-Tüten abgepackt und im eigenen Laden, in vier Bauerhofläden und in zwei Feinkostgeschäften verkauft. Eine besondere Spezialität sind getrocknete Früchte in Schokolade getunkt, die Fruchtschokies. „Wenn man einmal anfängt, kommen immer mehr Verwendungsideen“, erzählt Susanne Geng. So ist es nicht verwunderlich, dass sie mit den Früchten Likör angesetzt hat, 48 verschiedene Sorten. Susanne Geng stellt außerdem Fruchtaufstriche her. Sie werden mit Bio-Rohrzucker und Apfelpektin zubereitet und enthalten deutlich mehr Frucht und weniger Zucker als herkömmliche Konfitüren. Guten Anklang bei Genießern findet auch der sortenreine Apfelsaft.
Martin Geng, gelernter Zimmermann und Bautechniker, hat mehrere erfolgreiche Unternehmen aufgebaut. „Ein Zeckenbiss und eine sich anschließende Borreliose mit chronischer Gelenkentzündung hat mich vor einigen Jahren völlig aus der Bahn geschmissen“, erzählt er. Anstrengende Reisen und viele Stunden am Schreibtisch waren anschließend nicht mehr drin. Deshalb stand eine komplette Neuorientierung an.
Zwei Aspekte kamen bei der Entscheidung für den Aufbau des Obstparadieses zusammen: Familie Geng hatte schon immer Obst zum Eigenverbrauch getrocknet. Häufig verschenkten sie von diesem Trockenobst an Freunde. Und genauso häufig wurden sie gefragt, ob man das auch kaufen könne. Martin Geng machte zudem bei der Arbeit im Garten die Erfahrung, dass sie ihm trotz seiner körperlichen Einschränkungen gut tat. So kam eins zum anderen und die neue Geschäftsidee war geboren. Kapital war durch den Verkauf der vorhandenen Unternehmen vorhanden. „Wir haben einfach mal angefangen und uns gedacht, wenn die Ware erst da ist, kümmern wir uns um den Verkauf“, erzählen Susanne und Martin Geng. Verkauf und die Entwicklung neuer Produkte ist heute Johannes Gengs Job. Im Sommerhalbjahr finden samstags Gruppenführungen mit Verkostung in den Obstwiesen statt.